Nachkriegspsychiatrie

Nach Kriegsende waren die psychiatrischen Anstalten in Deutschland in miserablem Zustand. In vielen Fällen trafen die Patienten auf die gleichen Ärzte und Pfleger wie im Nationalsozialismus. Das Versorgungssystem war auf Verwahrung ausgelegt. Ausbeutung von Patientenarbeit, strenge Disziplin und kaum vorhandene Privatsphäre prägten den Anstaltsalltag. Die Patienten mussten meist lange Zeit in Bettensälen mit mangelnder Hygiene leben. Hier teilten sie sich den wenigen Platz mit Menschen, die unterschiedlichste psychische Erkrankungen hatten. Ein Arzt musste sich oft um mehr als hundert Patienten gleichzeitig kümmern. Die Hauptaufgabe des Pflegepersonals war vorrangig die Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit auf den Stationen.

Ab Mitte der 1950er Jahre brachten neue Psychopharmaka andere Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung. Das traditionelle Anstaltssystem in Deutschland war auf diese Neuerungen nicht ausgelegt: Es gab kaum Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten außerhalb der Klinik. Viele Einrichtungen waren überfüllt.

Seit den 1960er Jahren traten diese Missstände immer deutlicher ins öffentliche  Bewusstsein. Angestoßen durch eine neue Generation junger Psychiater sollte zu Beginn der 1970er Jahre die bundesdeutsche Psychiatrie reformiert werden. Erste Bestandsaufnahmen dieser Zeit klagten die »menschenunwürdigen Bedingungen« in den Klinken an. Mit der 1975 vom Bundestag beschlossenen »Psychiatrie-Enquete« begannen die Verkleinerung der Anstalten und ihre Ergänzung mit ambulanten Versorgungsangeboten.

Bild: Pfälzische Nervenklinik Landeck, 1961
Pfälzische Nervenklinik Landeck, 1961
© Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie, Klingenmünster
Bild: Patienten des psychiatrischen Landeskrankenhauses Bad Schussenried bei der Rasur, 1972
Patienten des psychiatrischen Landeskrankenhauses Bad Schussenried bei der Rasur, 1972
© Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Sammlung Rupert Leser