Ausgrenzung: Kinder

Kinder und Jugendliche wurden bei der Aufnahme in die Heilanstalt vor allem nach dem Grad ihrer »Bildungsfähigkeit« beurteilt und behandelt. Die Einstufung erfolgte in der Regel nach einer Intelligenzprüfung auf der Grundlage eines seit 1905 gebräuchlichen Intelligenztests (Binet-Simon-Test). In Anstaltsschulen sollten sie entsprechend ihren geistigen Fähigkeiten lernen und gefördert werden. Diese Praxis, die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte, wurde in der NS-Zeit zur tödlichen Bedrohung. Kinder und Jugendliche, die beim Intelligenztest und in der Anstaltsschule versagten, galten als »bildungsunfähig« und »lebensuntüchtig«. Für sie war kein Platz in einer auf Heilung und Integration ins Arbeitsleben ausgerichteten Psychiatrie.

Im Rahmen der NS-»Euthanasie« wurden Kinder und Jugendliche nicht nur in den »Kinderfachabteilungen« des »Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung erb - und anlagebedingter schwerer Leiden« ermordet, sondern auch in den Gaskammern der T4-Tötungsanstalten. Bei ihrer Selektion spielte die Einschätzung der »Bildungsfähigkeit« die entscheidende Rolle. Zu den Opfern der »Aktion T4« zählten rund 4.200 Minderjährige, von denen fast 77 Prozent als »bildungsunfähig« galten. Diese Einschätzung betraf Mädchen und Jungen in gleichem Maße und wurde zumeist im Zusammenhang mit der Diagnose »angeborener oder früh erworbener Schwachsinn« getroffen.

Bild: Intelligenzprüfungsschema der Landesanstalt Brandenburg-Görden, ausgefüllt für Werner B., 1940
Intelligenzprüfungsschema der Landesanstalt Brandenburg-Görden, ausgefüllt für Werner B., 1940
© Bundesarchiv Berlin, R 179/15222